Was ist der Kitt in unserer Gesellschaft? Was brauchen wir, um gut zusammen leben zu können? Welcher Gesellschaftsentwurf ist zukunftstauglich? Diese Fragen müssen in gewissen Abständen immer wieder neu gestellt und neu beantwortet werden. Bei der Suche nach der richtigen Antwort werden wir auf alte, z.T. sehr alte, gesellschaftliche Erfahrungen zurückgreifen können, werden aber auch Fragen beantworten müssen, die sich vor kurzem überhaupt noch nicht stellten.
Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens mehr über die Grundlagen und Ziele der Gesellschaft. Es gibt keine Verständigung mehr, worin der einzelne Mensch in seiner Existenz den Sinn seines individuellen Lebens finden kann. Ja, es gibt noch nicht einmal mehr eine Verständigung darüber, ob der Mensch sein Leben selber finden kann oder ob er dazu die Gemeinschaft naher Angehöriger, Freunde, familiärer Bindungen oder anderer Beziehungen bedarf. Ja, es gibt auch keine Verständigung mehr darüber, ob für ein Volk, eine Nation oder einen Staat oder die Gattung Mensch als solche die Bindung oder Rückbindung an eine Religion zur Sinnfindung notwendig und hilfreich sein kann.
Was können wir als Menschen leisten? Was können wir aber auch getrost dem Lauf der Zeit überlassen? Christen wissen: Der Mensch ist nicht selbst der Weltenschöpfer. Der Mensch darf abhängig sein. Auch jeder Politiker muss sich fragen, ob er „selber der Allerhöchste sein will oder dem Allerhöchsten verpflichtet sein will.“ (1)
Es ist auf alle Fälle eine im Großen und Ganzen vernünftige Sachpolitik, die die CDU auszeichnet. Eine Politik der Mitte, die bisher allen Extremen widerstanden hat, die populistischen Verführungsargumenten wiederstanden hat und hoffentlich auch weiterhin widersteht.
Und dann ist es wohl auch eine Ahnung, die die Menschen haben, dass es doch etwas Größeres und Wichtigeres gibt, als gut durch den Tag zu kommen, dass es eines Kompasses bedarf, der in unübersichtlichem Gelände eine Richtung anzeigen kann, in die man gehen muss.
Wertepolitik nennen das die Politprofis. Und dies ist hoffentlich der eigentliche, oft verborgene Grund, warum eine Politik aus christlichem Verständnis auf Dauer erfolgreich sein kann, auch wenn sich die Antworten auf konkrete Sachfragen über die Jahre hinweg ändern können.
Deshalb ist es gut, dass sich die CDU Deutschlands wieder einmal freiwillig einem Läuterungsprozess unterzieht, der da heißt Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms. Und wieder gilt: Der Weg ist bald wichtiger als das Ziel. Die Gesellschaft muss mitgenommen werden, sonst wird sie auch anstehende politische Entscheidungen nicht unterstützen.
Es gibt seit einigen Jahren einen neuen Ausdruck, der zu Recht Eingang in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD gefunden hat. Er heißt „gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Schon in der Überschrift lesen wir „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ und finden weitere 20 Fundstellen. Den Verfassern des Koalitionsvertrages ist offensichtlich klar, dass mit dem Schwinden des gesellschaftlichen Zusammenhaltes auch die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft in Gefahr gerät.
Für die Arbeit des EAK ist dieses ein gutes Vorzeichen. Wer im christlichen Glauben verankert ist, kennt die Nächstenliebe. Dieses Wort hat zu Recht auch seinen Platz im säkularen Wortschatz gefunden. Wir müssen nun definieren, was die richtige Beschreibung und damit Aufgabe im heraufziehenden digitalen und globalen Zeitalter sein soll.
Der notwendige Zusammenhalt hat natürlich auch eine globale Dimension. Nehmen wir nur die EU. Populisten wie Orban, Salvini, Kaczynski und Babis versuchen ,die Meinungsführerschaft in Europa zu übernehmen. Einige, auch in der CDU, finden das gut, ich nicht. Wollen wir wirklich eine Rückkehr in die Dunkelheit? Der Grenzen? Des Nationalismus? Es ist nicht zu spät. Schmettern wir den Demagogen lieber Friedrich Schillers Ode 'An die Freude' entgegen: 'Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt'. (2)
Alles Gerede, dass die CDU nach rechts rücken soll, dass sie konservativer werden soll, wird entlarvt durch die moderne Übersetzung des alten Wortes Nächstenliebe. Es wird heißen: gesellschaftlicher Zusammenhalt. Dafür soll sich der EAK in der CDU und in der ganzen deutschen Gesellschaft und darüber hinaus tatkräftig einsetzen.
Jürgen Scharf
Quellennachweis:
1 Beckstein, Vortrag Hermannsburg „Politik und Reformation“ 01.02.2014
2 Sinngemäßes Zitat aus DER NEUE TAG aus Weiden 29.06.2018